Wer mal in Großmutters oder Urgroßmutters handgeschriebenen Rezeptbüchern blättert und versucht, das ein oder andere Rezept nachzukochen, nachzubacken oder nachzubraten, gerät leicht ins Grübeln bei den Formulierungen. Ein Kuchen mit 30 Eiern? Ein halbes Schock Krebse? Ein Lot Kaffee?
„Eine halbe Kann Milch Dreßdner Maas“ solle man verwenden, liest man im Kochbuch der Louise von Lengefeld (1743–1823), Friedrich Schillers Schwiegermutter. Bei ihr findet man noch andere ungewohnte Maße, etwa Ein halbes „Quentl Würtz Nelcken“, „ein Nösel Wein“ oder „eine halbe Eyer Schale voll Wein“, „3 Pfund Zucker Schlesisches Maas und Gewicht“, „zwei Quart Wasser“, „Eine Nordhäußer halbe Meze weiß Mehl“, „ein Seidlein süßen Raam“. Ein Nösel entspricht übrigens etwa 500 Millilitern, die Dresdner Kanne etwa 940 Millilitern.
Und wenn man schon mal beim Lesen alter Rezepte ins Nachdenken gerät, dann erscheint einem eine Prise Salz, ein Esslöffel Butter oder eine Tasse Wasser auch nicht mehr so präzise. Welche Tasse soll ich verwenden? Die Mokkatasse? Omas goldgerahmte Sammeltasse? Oder die selbst getöpferte Riesentasse? Waren Tassen vor 100 oder 200 Jahren genauso groß wie heute die typische Kaffeetasse im Gasthaus?
Wie gut, dass es in der Kochkunst für ein gutes Ergebnis oft nicht so genau drauf ankommt, ob man jetzt einen kleinen oder großen Teelöffel Öl verwendet. Ein Bund Kräuter, eine Handvoll Nüsse, ein Stich Butter, eine Prise Salz oder Zucker, ein Schluck Wasser – alle diese Küchenmaße sind denkbar ungenau, aber praktikabel. Denn mit der Apothekerwaage die Zutaten für ein Rezept abzuwiegen, wäre mehr als lästig.
Übrigens herrschte jahrhundertelang Verwirrung bei Maßen und Gewichten – fast jedes Fürstentum (und davon gab es in Europa hunderte) wählte eigene Maßeinheiten, was grenzüberschreitende Händler entweder zur Verzweiflung brachte oder ihnen kräftige Kursgewinne bescherte, wenn die Kunden nicht gut genug rechnen konnten.
Maße und Gewichte in der ehemals freien Reichsstadt Speyer vor 200 Jahren
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gilt beispielsweise in der alten Kaiserstadt Speyer ein durch 12 teilbares Ölmaß: Ein Ohm entspricht 12 Vierteln oder 60 Maß bzw. 240 Schoppen.
Ein Ohm entspricht außerdem 208 Pfund oder 98 Kilogramm – die, wie man leicht nachrechnen kann, nicht unbedingt identisch sind mit unseren Pfunden und Kilogrammen.
Der Pfälzer Wein wird zwar auch in Ohm gemessen, aber beim Wein ist die Unterteilung eine andere, wenn auch die gleichen Namen wie heute gebraucht werden. Auf ein Ohm Wein kommen in Speyer 12 Viertel, 48 Maß oder 192 Schoppen.
Trockene Sachen wie etwa Getreide werden zu dieser Zeit in Speyer durch vier geteilt: Ein Malter Getreide entspricht vier Viernzel oder acht Simmer, 32 Immel oder 128 Seßling oder Mäßchen.
Für das so wichtige Salz gibt es ebenfalls eigene Maßeinheiten: eine Scheibe Salz entspricht 6,5 Simmer, ein Hut fasst etwa zwei Malter oder zwei Sack, ein Stübich oder Fass entspricht 3,5 Malter. 216 Säcke entsprechen wiederum 24 Fardel oder einem Hundert Salz.
Im Altpörtel, einem der alten Stadttore von Speyer, findet man übrigens noch immer den Speyerer Werkschuh. Der eiserne Stab ist 28,889 Zentimeter lang und entspricht einer Länge von damals 12 Zoll. Mit diesem Maß wurde z. B. 1772/73 die Stadt vermessen, und nach seiner Länge hatte sich zu richten, wer in Speyer etwas verkaufen wollte, was man mit Längenmaßen messen musste.
Messen im Dezimalsystem
Wie man sieht, ist auch im deutschsprachigen Raum das Messen im Dezimalsystem, was uns heute so überaus logisch und praktisch erscheint, noch gar nicht so alt.
Erst der Deutsche Zollverein, gegründet 1834, machte sich daran, Maße und Gewichte zu vereinheitlichen. Im Jahr 1854 legte er das (Zoll-)Pfund auf 500 Gramm fest, und den Zentner als Maß für 50 Kilogramm. Übrigens: Seit 1884 gibt es das Pfund offiziell nicht mehr als Gewichtseinheit. Es wurde abgeschafft und hat nur in Kochbüchern und der Alltagssprache überlebt.ms
Weitere Informationen
Alte Speyerer Zähl- und Stückmaße
Alte Maße und Gewichte in Trier
Historische Maße und Gewichte im deutschsprachigen Raum des 19. Jh.
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